Über meine Gründe, das Java Forum Stuttgart zu besuchen, habe ich bereits 2017 was geschrieben, und daran hat sich nichts geändert. 2018 habe ich aufgrund wenig vielversprechender Themenauswahl mal sausen lassen, also war es 2019 mal wieder an der Zeit.
Die Rahmenbedingungen waren dieselben: Liederhalle, top organisiert, Verpflegung OK (auch wenn ich wohl nie verstehen werde, warum jemand Coke Light anbietet statt Coke Zero, aber über Geschmack kann man nicht streiten – vielleicht war es ja wenigstens billiger), abwechslungsreiches Vortragsprogramm. Und ein Code of Conduct scheint heutzutage wohl unvermeidlich, natürlich in gendergerechter Sprache anstatt in richtigem Deutsch. Man könnte den ganzen Sermon inhaltlich auch schneller auf den Punkt bringen: „Es gelten die Regeln der westlichen Zivilisation und des allgemeinen Anstands“. Oder „Verhalte Dich stets so, dass Deine Mutter auf Dich stolz wäre.“
Zum eigentlichen Thema. Gab es diesmal einen der typischen Themenschwerpunkte, den klassischen Hype, auf den sich alle stürzen und zu dem es zig Vorträge gibt? Immerhin vier Mal war Graal(VM) (Teil-)Thema, was m.E. zeigt, dass das Thema „Performance“ insbesondere im Bereich Startup-Zeiten und Speicherverbrauch in der Java-Welt wie schon vor fast 25 Jahren topaktuell bleibt. Ansonsten scheint jeder – auch ohne Vorliegen zwingender Gründe – sein Heil in der Microservice-Welt – gerne auch in der Cloud – zu suchen. Der Mobile- und IoT-Hype schein hingegen etwas abgeflacht zu sein.
Zum Vortrag „Cross-Platform Mobile-Apps mit Java – 2019“ von Dr. Daniel Thommes, Geschäftsführer der NeverNull GmbH. Ein Technologieüberblick, durchaus ins Detail gehend, zur ewig aktuellen Frage „write once, run anywhere, und bitte plattformübergreifend single source und an jede Plattform optimal angepasst“. Daran ist bekanntlich schon Swing gescheitert. Und die Zeichen stehen ehrlich gesagt nicht besonders gut, dass es für so divergierende Anforderungen wie „App auf iOS, App auf Android, und Desktop auf Windows und Linux“ jemals eine einheitliche und schöne Lösung geben könnte. Aber der Stand der Dinge hat mich schon etwas erschreckt, denn die „Lösungen“ wie Transpiler, portierte Runtimes oder halbgare eigene UI-Toolkits sind doch eher ein Armutszeugnis. Es war ein Non-Sponsored-Talk, was den Vortragenden erkennbar in Gewissensprobleme stürzte und er den Eindruck, die eigene Lösung „MobileUI“ seiner Firma zu sehr in den Vordergrund zu stellen, gewissenhaft zu vermeiden suchte. Tut so einem Vortrag nicht gut. Wobei man die Basics durchaus gut beherrscht, wie die „Java Forum Stuttgart“-App – natürlich auf relativ niedrigem Komplexitätsniveau, aber eine Lösung, die die einfachen Sachen sehr gut und sicher beherrscht ist ja auch wertvoll – zeigt. Ebenfalls fehlte erkennbar Tiefe für die diversen altbekannten Fallstricke der Cross-Plattform-UI-Entwicklung. Wenn etwas leidlich Komplexes in Demos nicht angeschnitten wird, liegt das erfahrungsgemäß daran, dass es nicht anständig funktioniert. Aber das ist natürlich nur wilde Spekulation kraft meiner 20-jährigen Erfahrung mit UI-Toolkits aller Art.
Michael Wiedeking war – fast selbstverständlich – auch wieder dabei, diesmal mit „Der eilige Graal“ mit einer gewohnt locker präsentierten Reise durch die wunderbare Welt von JIT-Compilern, Hotspots, Bytecode und natürlich Graal. Der Vortrag krankte etwas an der unscharfen Abgrenzung zwischen Graal, GraalVM, Graal-JIT, Graal AOT und Graal native image-Feature. Für den Uneingeweihten ging es da manchmal zu sehr durcheinander, dank ausreichender Vorbildung konnte ich jedoch folgen. Aber selbst die Graal-Erfinder selbst tun sich da oft schwer, eben weil das Graal-Universum so viele Zielrichtungen verfolgt. Wie man das in 45 Minuten überhaupt vorstellen könnte – ich weiß es auch nicht.
Auch Stephan Frind versuchte sich unter dem Titel „Graal oder nicht Graal –ist das wirklich eine Frage?“ an diesem Themenkomplex. Deutlich high-leveliger als Michael Wiedeking, und deshalb erfolgreicher beim Vermitteln des allgemeinen Überblicks. Leider aber dadurch eben auch fehlende Tiefe. Die Compilerbau-Details und die C1-C2-Abgrenzung in der JVM waren nicht immer ganz korrekt, aber das tat nicht weiter weh. Details, die nur einem passionierten i-Dipfeles-Scheißer auffallen. Die Abgrenzung Graal vs. GraalVM war auch hier eher unscharf, Schwächen der derzeitigen native image-Lösung kamen etwas zu kurz. Am Ende der Hinweis „Testen! GraalVM etwas schwieriger“ könnte in der Kategorie „Untertreibung des Jahres“ durchaus weit vorne landen. Man schaue sich die diversen Issues zum Thema native image auf GitHub an, um ein Gefühl für den präzisen Stand der Dinge bezüglich Stabilität und Umfang zu bekommen.
Aufgrund sparsamer Konkurrenz im Zeitslot verschlug es mich auch in „Aus eins mach zehn: Neuentwicklung mit Microservices“ von Lars Alvincz und Bastian Feigl (andrena objects ag). Im Abstract war schon angekündigt, dass auch „Null vermeiden“ ein Thema sein sollte, und das störte doch gewaltig – wie kann man etwa 10 Minuten der wertvollen Zeit auf so eine Nichtigkeit verschwenden, wo es doch um das Thema „wir lösen ein monolithisches System durch Microservices ab“ ging? Mit all seinen interessanten Fragestellungen von „sind Microservices der richtige Ansatz“ über „was hat die Neuentwicklung veranlasst“ bis zu „das war der Ressourcenbedarf an CPU und Speicher vorher und nachher“. Neben den Klassikern „wie schneide ich die Services richtig“ und „wie schaffe ich es, transaktionales DB-Verhalten mit dem Microservice-Umfeld zu verheiraten“ natürlich. Es wurde nicht mal ansatzweise versucht, hier mehr als ein paar Worte zu den interessanten Teilgebieten zu verlieren. Besonders ärgerlich, weil die dargestellten Anforderungen von Kundenseite keineswegs eine Microservice-Architektur nahelegten oder gar erzwangen. Warum bei einer eher trivialen Standardanwendung, zudem mit zwingender Datenmigration und klarer Vorgabe an Funktionalität ein „Big Up Front-Design nicht sinnvoll/möglich“ gewesen sein soll – behauptet wurde es, aber begründet nicht. Zusätzlich fiel mir wieder auf, dass die Lösung mit zwei Vortragenden nur ganz selten wirklich gut funktioniert. Auch die Themen „Versionsverwaltung des Codes“ und „Trunk-based development vs. Feature Branches“ wurde kurz gestreift, ohne dass klar wurde, warum das in diesem Kontext unbedingt Erwähnung finden musste. Insgesamt kein überzeugender Vortrag. In keinem der behandelten Unterthemen.
Da mein tägliches Brot immer noch Java 8 ist (böse Zungen würden behaupten, dass man in Java 8 natürlich immer noch genauso wie in Java 1.4 programmieren kann und schon die Einführung von Generics ein Fehler war) und ich die Neuerungen aus Java 9 bis Java 13 zwar kenne, aber nicht seriös im produktiven Einsatz habe, habe ich mir „Power Catch-up: Alles Praktische und Wichtige aus Java 9 bis 12“ von Benjamin Schmid angeschaut. Sehr komprimiert, ohne Füllstoff, kompakt und doch mit Mehrwert gegenüber dem bloßen Lesen von Artikeln zum Thema. Ich war zufrieden. Auch wenn einzelne Themen wie die neuen GC-Varianten oder Project Loom natürlich in 45 Minuten nicht annähernd in gebührender Ausführlichkeit behandelt werden können. Der Vortragende hat sich aber mit potenziell verwirrenden Details angenehm zurückgehalten. Sehr gut.
Und das Beste kommt zum Schluss. „RxJava2: von 0 auf 100(?) in 45 Minuten“ von und mit Johannes Schneider. Sensationell. Einer der besten Vorträgem egal zu welchem Thema, den ich je auf einer Konferenz gehört habe. Genau getimed auf die 45 Minuten, professionell und trotzdem humorvoll vorgetragen, voller Anregungen und Informationen. Didaktisch vom Feinsten. Ich muss gestehen, dass das den 2017er Vortrag zur reaktiven Programmierung, den ich anno dazumal gar nicht so schlecht fand, im Nachhinein ziemlich blass wirken lässt, Mein Kompliment an Johannes Schneider.
Was bleibt hängen? Zwei Dinge sollte man sich (ich mir) dringend im Detail anschauen: natürlich Graal(VM), und RxJava/ReactoveX, gerne auch im Swing-Kontext (auch wenn meine heimische Library natürlich die allermeisten Dinge schon auf anderem Wege erreicht – aber mit RxJava gäbe es hier die Möglichkeit, die Code-Lesbarkeit zu verbessern). Dafür kann man glatt seine Vorbehalte gegen 3rd-party-Abhängigkeiten über Bord werfen.